Aktuelle MeldungenMobil

Spielend in die vierte industrielle Revolution

Berlin – Die Fabriken der Zukunft sind hochautomatisiert und vernetzt. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten Applied Interactive Technologies wie 3-D-Simulationen, Virtual Reality und Serious Games. Das Potenzial von interaktiven Anwendungen aus der Computerspieltechnologie ist auch Thema der diesjährigen Serious Games Conference im Rahmen der CeBIT.

Die erste industrielle Revolution brachte die Dampfmaschine, die zweite die Elektrizität, die dritte die Computer. Auf die vierte warten wir im Moment, ihre zaghaften Anfänge sind bereits zu sehen. Im Mittelpunkt steht die vernetzte Fabrik im ständigen Kontakt mit Maschinen und Waren. Die Hoffnung: Die Produktion 4.0 wird flexibler, schneller und effizienter als je zuvor. Nicht weniger die Zukunft des Industriestandorts Deutschland soll sie sein, wie Befürworter immer wieder betonen. Vorreiter der noch schleichenden Revolution ist die Automobilindustrie. Bereits jeder fünfte Betrieb der Branche verfügt über selbststeuernde Anlagen. Die Herstellung unserer Autos ist abhängig von komplizierten Netzwerken aus Dienstleistern und ohne eine zentral-vernetzte Steuerung kaum überschaubar. Auch für Zulieferer wie Continental ist die smarte Produktion ungemein wichtig, um die hohen Erwartungen in Sachen Lieferflexibilität zu erfüllen.

Quellenangabe: "obs/BIU - Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V./Peter Endig"
Quellenangabe: “obs/BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V./Peter Endig”

Doch das ist erst der Anfang: Konsequent umgesetzt könnte die Industrie 4.0 die Grundregeln der Produktion auf den Kopf stellen. Bislang wurde ein Produkt am Schreibtisch entworfen und danach seine Herstellung geplant. In Zukunft geschieht all dies parallel. Dafür gibt es von jeder smarten Fabrik ein virtuelles Abbild. In den aufwendigen 3-D-Simulationen werden sämtliche Produktionswege und Maschinen detailgetreu nachgebaut – nicht nur als pixelige Modelle, sondern mit allen wichtigen Eigenschaften und Live-Daten zur eigenen Produktivität. Während die Entwickler noch an der Fertigstellung des neuen Produktes sitzen, könnten die Fabrikplaner bereits in der virtuellen Welt ihre Arbeit aufnehmen. Neue Produktionsstraßen entwickeln, die Bewegungen der Industrie-Roboter im Voraus programmieren, alternative Prozessschritte testen. Eine verlockende Zukunftsvision, die der Industrie viel Geld und Zeit sparen könnte. Die Unternehmen vermeiden teuren Stillstand, weil die Produktion nicht mehr per Hand umgestellt und feinjustiert werden muss. Neue Produkte kommen noch schneller auf den Markt.

ARKM.marketing
     


Komplexe Spielwelten als Vorbild

Ein wichtiges Vorbild seien dabei Computerspiele, sagt Porter Stowell, bei IBM für Serious Games Strategies verantwortlich und Speaker bei der diesjährigen Serious Games Conference am Rande der CeBIT, die von Nordmedia und dem BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware veranstaltet wird. “Gaming-Prinzipien könnten die Entwicklung von neuen Unternehmensstrate-gien revolutionieren”, sagt er. Das Potenzial dazu liege in ihrer Natur. Die Spieler müssen ständig neue Herausforderungen meistern und laufend ihre Erfolgsstrategien überdenken. Die Auswirkungen jeder Entscheidung sind unmittelbar sichtbar. Eine reizvolle Vorstellung für Entscheider. In realistischen Simulationen lassen sich Entscheidungen und ihre Folgen durchspielen. Außerdem vermittelt die grafische Aufbereitung ein besseres Verständnis für komplexe Sachverhalte. Dr. Maximilian Schenk vom Spiele-Verband BIU, dem Mitveranstalter der Serious Games Conference, ergänzt: “Die Computer- und Videospielindustrie agiert mit einem enormen Innovationstempo. Ob Software zur immer realistischeren Darstellung von 3-D-Welten oder Augmented und Virtual Reality: keine andere Branche greift technologische Innovationen dermaßen schnell auf und treibt sie weiter voran. Die Ergebnisse dieses hohen Innovationstempos werden immer häufiger für viele weitere Bereiche der Wirtschaft zu Schlüsseltechnologien, etwa in der industriellen Produktion oder dem medizinischen Sektor.” So nutzen Gehirnchirurgen Simulationen zur Planung von komplizierten Eingriffen. Am virtuellen Patientenmodell werden beispielsweise Zugangswege zu einem Gehirntumor getestet. Das gibt dem Operateur und seinem Team mehr Sicherheit und mindert das Risiko für den Patienten. Das virtuelle Gehirn wird dabei detailgetreu aus Computertomographie- und Röntgen-Aufnahmen nachgebaut. Solche “Live-Daten” lassen sich auch für andere Simulationen nutzen.

Trainingsprogramme werden realistischer

Doch nicht nur zur besseren Planung eignen sich lebensechte 3-D-Welten, wie Marco Schumann, Leiter des Geschäftsfeldes “Virtuell interaktives Training” am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung in Magdeburg, erklärt: “Auch virtuelle Trainingsprogramme werden immer realistischer und umfangreicher.” Ein wichtiger Schritt: Schließlich steigen im Zuge der Digitalisierung der Industrie auch die Komplexität der Produktionsabläufeund damit die Anforderungen an die Facharbeiter. Neue maßgeschneiderte Trainingsformate sind deshalb ein wichtiger Bestandteil vieler industrieller Zukunftsstrategien. Wie modernes Training für Techniker aussehen kann,zeigt das Beispiel “Virtual Simulation and Training of Assembly and Service Processes in Digital Factories” (kurz: VISTRA) von Opel. Mit Hilfe eines Wii-Controller und einer Kinect-Kamera, die Bewegungen aufzeichnet, trainieren Mitarbeiter neue Montageaufgaben. Auf einer Leinwand werden dafür alle Werkzeuge und Bauteile dargestellt. Mit dem Controller wählt der Mitarbeiter die Bauteile aus und bringt sie durch spezielle Handbewegungen an die richtige Stelle. Die Aufgabe ist abgeschlossen, wenn alles korrekt an Ort und Stelle sitzt. Das Training lässt sich nach Angaben von Opel in der Schwierigkeit variieren und sogar für gleich mehrere Monteure anpassen.

Bisher wurden neue Montagearbeiten an echten Test-Autos geübt. Ein Airbag musste solange montiert und wieder demontiert werden, bis jeder Handgriff saß. Zeitaufwendiger und teurer als ein virtuelles Training. “Wir wollen ein System, das es den Mitarbeitern ermöglicht, in ihrer gewohnten Umgebung virtuell zu trainieren”, erklärt Projektleiter Frank Arlt. Schon in diesem Jahr soll das VISTRA-System in mehreren Opel-Standorten eingesetzt werden. Eine erste VISTRA-Evaluierung hat dabei ergeben, dass diejenigen, die mit dem virtuellen System lernen, 40 Prozent weniger Fehler machen als diejenigen, die nur an Prototypen üben. Die Mitarbeiter fühlen sich sicherer im Umgang mit den einzelnen Teilen und waren zudem schneller. Trainingssimulationen und Serious Games setzt Opel schon länger ein. “Deren großes Manko ist aber, dass sie den User quasi vergessen”, sagt Arlt. “Wenn wir den Mitarbeiter nur mit Maus und Tastatur an einem PC üben lassen, ist das nicht nah genug an der Realität.”

Brillen verbinden Virtualität und Realität

Reale und virtuelle (Arbeits-)Welt noch stärker zusammenbringen, könnten zwei weitere Technologien aus dem Bereich Unterhaltungselektronik – die 3-D-Brille und die Datenbrille. Ein besonders spannender Ansatz kommt dabei von Microsoft. Seine für 2016 angekündigte 3-D-Brille HoloLens zeigt nicht nur abgeschottete 3-D-Welten, sondern macht eine Mischung aus Wirklichkeit und virtuellen Objekten sichtbar. Mit diesen soll der Träger sogar interagieren können. Im Zusammenhang mit der erweiterten Realität spricht man auch von “Augmented Reality”. Vor allem durch das Aufkommen von Smartphones und Tablets gab es in den letzten Jahren einen wahren Boom. So nutzte Ikea beispielsweise Augmented Reality als Erweiterung seines digitalen Möbel-katalogs. Auch zahlreiche Spiele-Apps verbinden Realität und virtuelle Spielwelten. Bei “EyePet” muss beispielsweise ein flauschiges Pixel-Tier gestreichelt, gewaschen und gefüttert werden. Auf dem Tablet wirken seine Bewegungen sehr real. Wendet man seinen Blick jedoch von dem Bildschirm ab, ist es nur Luft, die man streichelt. Die Neuerung: Neben neuen Spielwelten arbeitet Microsoft auch an Konzepten für einen Einsatz am Arbeitsplatz. Ähnliche Pläne verfolgt auch Suchmaschinen-Riese Google mit seiner Datenbrille “Google Glass”. Die neuste Version soll bereits an erste Business-Kunden verteilt worden sein. Die Nutzung von Augmented Reality am Arbeits-platz ist keine ganz neue Idee. Erste Projekte gab es bereits vor 15 Jahren. Lange blieben diese Ansätze allerdings kaum mehr als teure Prototypen im Labor. “Für die breite Anwendung braucht die Industrie robuste und zuverlässi-ge Technik. Preis, Ergonomie und auch die Batterielaufzeit müssen stimmen”, sagt Schumann. Genau von diesem Rundumsorglos-Paket seien die meisten Angebote am Markt noch einen entscheidenden Schritt entfernt.

An Anwendungsmöglichkeiten mangelt es schon heute nicht. Ein Zukunfts-szenario: Bei einer Reparatur liefert die vernetzte Maschine alle wichtigen Informationen an die Datenbrille des Technikers. Dort werden die Daten bedarfsgerecht aufbereitet und ins Sichtfeld eingeblendet. Der Techniker hat trotzdem beide Hände für die Störungsbeseitigung frei. Denkbar wäre auch eine Zuschaltung von externen Experten per Videokamera. Auch im Lagermanagement gibt es bereits Testläufe für Augmented Reality. Der Logistikdienstleister DHL hat im Rahmen eines Pilotprojektes herausgefunden, dass durch Datenbrillen eine signifikante Zeiteinsparung durch die Anzeige des richtigen Weges sowie der zu entnehmenden Ware und des Einscannens möglich ist. Auch Autohersteller Volkswagen hat jüngst den Einsatz von Datenbrillen im Wolfsburger Stammwerk angekündigt. Sie sollen die Arbeit im Teilelager erleichtern und Handscanner endgültig überflüssig machen.

Auch für das Anlernen von neuen Mitarbeitern gibt es bereits entsprechende Konzepte. Beispielsweise könnte in der Datenbrille des Mechanikers eine Schritt-für-Schritt-Anleitung eingeblendet werden, vielleicht nicht nur als Schrift, sondern sogar als 3-D-Projektion. Wegbereiter und Impulsgeber für die dafür nötigen Technologien sind vor allem die hohen Ansprüche der Sofa-Renn-sportler und Hobby-Ritter, die immer realistischere 3-D-Welten bevölkern. Nicht umsonst gilt die Spieleindustrie als wichtiger Vorreiter in Sachen Technologie, egal ob bei der Rechenleistung in unseren Hosentaschen oder dem grafischen Realismus von modernen Spiele-Blockbustern. Der Transfer dieser Applied Interactive Technologies raus aus dem Wohnzimmer hinein in die Fabriken der Zukunft ist ein zentrales Thema der diesjährigen Serious Games Conference am Rande der CeBIT.

Veröffentlicht von:

Alexandra Rüsche
Alexandra Rüsche
Alexandra Rüsche gehört seit 2009 der Redaktion Mittelstand-Nachrichten an. Sie schreibt als Journalistin über Tourismus, Familienunternehmen, Gesundheitsthemen, sowie Innovationen. Alexandra ist Mitglied im DPV (Deutscher Presse Verband - Verband für Journalisten e.V.). Sie ist über die Mailadresse der Redaktion erreichbar: redaktion@mittelstand-nachrichten.de

Zeige mehr
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"