Politik

Studie: Politisches Handeln in der Corona-Krise

Ab 1. Juli übernimmt Deutschland erstmals seit 13 Jahren die EU-Ratspräsidentschaft, in einer Zeit, da die Corona-Krise außergewöhnliche Herausforderungen an gemeinsames politisches Handeln stellt. Standen zunächst medizinische Herausforderungen im Vordergrund, rücken nun politische, soziale und ökonomische Fragen zunehmend in den Fokus. Die Corona-Pandemie könnte soziale Ungleichheit in und zwischen EU-Ländern massiv verstärken; wie schwer Mitgliedsstaaten betroffen sind, unterscheidet sich stark. Das wirft Fragen auf: Wieviel europäische Solidarität ist in der Krise notwendig, wieviel ist politisch möglich?

Zwei Konstanzer Forscher, der Soziologe Sebastian Koos und der Politikwissenschaftler Dirk Leuffen, haben untersucht, wie es in Deutschland um die Bereitschaft zu Hilfsleistungen steht. Sie stellen ihre Befunde jetzt in Form eines „Policy Paper“ der Öffentlichkeit zur Verfügung: Ein praxisorientiertes politisches Papier, in dem die Autoren neben den Ergebnissen ihrer Studie auch ihre Schlüsse für politisches Handeln vorstellen. Es ist das erste Papier, das aus einem groß angelegten Umfragen-Programm des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz hervorgeht, in dem Koos und Leuffen Mitglied sind.

Auf der Basis aktuell erhobener Umfragedaten unter 4.800 Befragten stellen die beiden Sozialforscher fest: Die medizinische Hilfsbereitschaft ist sehr groß – Finanzhilfen aber werden weitaus skeptischer gesehen. Rund zwei Drittel der Befragten sprechen sich für Sendungen von medizinischen Hilfsgütern wie Beatmungsgeräten und Schutzmasken an besonders betroffene Länder aus, weniger als ein Fünftel wäre unmittelbar dagegen. Finanzielle Hilfen würden aber nur 44% der Befragten unterstützen, und geht es um sogenannte Corona-Bonds, sinkt die Unterstützung sogar auf 26%, während sich eine klare Mehrheit (56%) gegen dieses Hilfsinstrument positioniert.

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Krankheit vs. finanzielle Not

Die Befragten trennen offenbar sehr klar zwischen der Bedrohung durch das Virus und dessen wirtschaftlichen Folgen. „Kranken Menschen wird eine hohe legitime Hilfsbedürftigkeit zugeschrieben. Krankheitsbedingte Not löst also einen Hilfsimpuls aus, dem bisweilen sogar eigene Interessen und Einstellungen untergeordnet werden“, erklärt Sebastian Koos. „Und tatsächlich finden wir, dass die Umfrageteilnehmer über alle Parteigrenzen hinweg medizinische Solidarität unterstützen.“

In Hinblick auf finanzielle Hilfsleistungen für Länder in wirtschaftlicher Not dagegen spielt die politische Grundhaltung eine größere Rolle: Wer eher die FDP oder die AfD wählen würde, neigt häufiger dazu, wirtschaftliche Hilfsleistungen abzulehnen. Wähler von Die Linke oder Bündnis 90/Die Grünen zeigen dagegen eine ausgeprägtere Bereitschaft zu finanzieller Unterstützung der von der Corona-Krise getroffenen Länder.

„Parteipolitische Orientierungen sind aber nicht alles. Sehr wichtig ist auch, inwieweit die betroffenen Länder für ihre Notlage selbst verantwortlich gemacht werden“, ergänzt Dirk Leuffen. Die Befragten versagten Ländern, die in der Vergangenheit nicht für eine Krise vorgesorgt hätten, häufiger die Unterstützung als anderen. Auch hier würden fiskalpolitische „Fehler“ der Vergangenheit wesentlich kritischer in die Bewertung mit einbezogen als gesundheitspolitische – ungeachtet der Pandemie als der eigentlichen Krisenursache.

„In den letzten Jahren hat sich gezeigt, wie bedeutsam der Rückhalt in der Bevölkerung für europäische Politik inzwischen geworden ist“, meint Dirk Leuffen. „Für europäische Umverteilungsmaßnahmen in der Corona-Krise ist daher zentral wichtig, wie diese kommuniziert und begründet werden. Ein alleiniger Fokus auf die Kosten reduziert die Hilfsbereitschaft. Auch die mittel- und langfristigen Interessen der Geberseite müssen unbedingt berücksichtigt werden.“

Umfragen-Programm zu den Folgen der Corona-Krise und Datengrundlage

Das Papier von Sebastian Koos und Dirk Leuffen ist das erste in einer Reihe, die auf einem groß angelegten Umfragen-Programm des Konstanzer Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ beruht. Mithilfe der Umfragen möchten die Forschenden des Clusters besser verstehen, wie Menschen in Deutschland mit den sozialen und politischen Folgen der Corona-Krise umgehen.

„Unser Umfragen-Programm befasst sich mit den sozialen und politischen Folgen der Corona-Krise. Wir interessieren uns für Solidarität und das Vertrauen in staatliches Handeln, für die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit, aber auch für die Effekte von Digitalisierung im Homeoffice oder von neuen Sicherheitsbestimmungen am Arbeitsplatz“, erklärt Prof. Dr. Marius Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft und Sprecher des Exzellenzclusters. Co-Sprecherin Prof. Claudia Diehl ergänzt: „Das alles sind Themen, die fest zum Programm des Exzellenzclusters gehören. Unser Umfragen-Programm zur Corona-Krise verbindet diese Forschungsinteressen jetzt mit tagesaktuellen Entwicklungen.“

Dafür haben die Konstanzer Sozialforscher in mehreren Online-Befragungen im Zeitraum April bis Juni 2020 über 8.000 in Deutschland lebende Personen befragt. In den kommenden Wochen werden weitere Ergebnisse der Umfragen in einer Reihe von Papieren unter dem Titel „COVID-19 und soziale Ungleichheit – Thesen und Befunde“ veröffentlicht.

Quelle: Universität Konstanz

Veröffentlicht von:

Amei Schüttler
Amei Schüttler
Amei Schüttler ist Redakteurin bei den Mittelstand-Nachrichten und schreibt über innovative Produkte und die Macher im deutschsprachigen Mittelstand. Für Fragen und Anregungen nutzen Sie bitte folgende Kontaktdaten:
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