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Hier muss es immer Kaviar sein

Fulda (dapd). Innerhalb von Minuten verlangsamen sich die Bewegungen des soeben ins Eiswasser gesetzten Störs. Der Kreislauf des über einen Meter langen Fischs fährt herunter, bis er halb betäubt ist. “Dann geht alles zügig”, sagt Mesfin Belay, Betriebsleiter der Fuldaer “Kaviarmanufaktur Desietra”, eine der wenigen reinen Störzuchten Europas. “Der Kaviar dieses Störweibchens ist in 20 Minuten eingedost.” Ein Mitarbeiter holt den Fisch mit beiden Händen aus dem Eisbassin, legt ihn auf den Arbeitstisch und schlägt mit dem Knüppel zu. Von dem Messer, das durch die Kiemen fährt und der anschließenden Entnahme der Fischeier spürt der Stör nichts mehr.

Vor Weihnachten und Silvester erntet der Betrieb in Fulda täglich zwei Zentner Kaviar, übers Jahr kommen 7,5 Tonnen zusammen. Für ein 25-Gramm-Döschen der Fischeier zahlen Verbraucher im gut sortierten Supermarkt 20 Euro, für die Sorte Beluga im Fachgeschäft auch über 150 Euro. “Wir halten zu 90 Prozent die Arten Sibirischer und Russischer Stör”, erläutert Mitinhaber Jörg-Michael Zamek. Vom Beluga sind es wegen der geringeren Nachfrage entsprechend weniger.” Einen weiteren Hinderungsgrund nennt Agrarwissenschaftler Belay: “Ein 15 Jahre alter Beluga wird auch bei uns sechs Meter lang. Das bringt besondere Anforderungen.”

Experte nennt Störproduktion umweltverträglich

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Kaviarherstellung benötige lange Vorlaufzeiten, sagt Andreas Müller-Belecke vom Potsdamer Institut für Binnenfischerei. “Als reine Störzucht hat die Fuldaer Firma eine Ausnahmestellung in Deutschland.” Pestizideinsatz wie bei der Lachsproduktion sei beim Stör unmöglich, erläutert der Experte. “Das geht bei diesem Flussfisch nur mit Tiefbrunnenwasser, das aus Kostengründen umgewälzt und gereinigt wird.” Die dabei eingesetzten Mikroorganismen würden durch Pestizide absterben. “Anständige Störproduktion ist vernünftig”, sagt Müller-Belecke, “und schützt die Wildbestände”.

Die 34 Fischbecken in Fulda sind mit 7.000 Tonnen Brunnenwasser gefüllt, sieben Prozent davon werden täglich erneuert. Zur Zucht der Störe hält die Betreiberfirma einige männliche Fische, deren Samen mit weiblichem Rogen vermischt wird. Die geschlüpften Minizappler wachsen zu Fingerlingen heran und werden nach fünf bis sechs Monaten knapp einen halben Meter lang abtransportiert und in Freiluftbecken in Mecklenburg-Vorpommern oder auch Ungarn gesetzt. Denn die teure Indoor-Mast lohnt sich für den Züchter erst, wenn allein die eiertragenden Weibchen heranwachsen.

Geschlechtsbestimmung erst nach zweieinhalb Jahren

Den nur als Filet und Räucherware vermarktbaren Stör von der profitableren Störin zu unterscheiden, gelingt selbst Fachleuten nur mithilfe von Ultraschalluntersuchungen, wenn die Fische etwa zweieinhalb Jahre alt sind. Nach der Selektion siedeln die Weibchen aus der Desietra-Produktion wieder nach Fulda um, wo sie in Gesellschaft von rund 10.000 Artgenossen bei einer Diät aus Fischmehl, -öl und Getreide noch mal vier bis sechs – als Beluga sogar über zehn – Jahre lang wachsen. Wiegt eine sibirische Störfrau rund zwölf Kilo, ist ihr Leben vorbei. Ihre Eierstöcke bergen dann über 1.000 Gramm Kaviar.

In Deutschland muss ein Stör zur Eierentnahme sterben, weil Tierschutzgesetze die Ernte per Kaiserschnitt verbieten. Das Abheilen ist zu komplikationsreich. Nach dem tödlichen Kiemenschnitt bluten die Fische in Fulda zehn Minuten aus. Dann schlitzt ein Mitarbeiter mit dem Messer den Störbauch auf und holt vorsichtig die prall mit schwärzlichem Kaviar behafteten Eierstöcke heraus, die in einer Schüssel sofort in einen Nebenraum weitergereicht werden. Dort wird das Gewebe durch ein Sieb gestrichen, das allein die zwei bis drei Millimeter großen kostbaren Körnchen passieren lässt.

Traumjob am Ende der Herstellungskette

Am Ende der nur Minuten dauernden Produktionskette arbeitet in Fulda Anna Nickel. Sie füllt den Kaviar in Dosen, die Desietra für einen Kilopreis von rund 650 Euro an den Großhandel abgibt – im Fall von Belugaware für 2.000 Euro. Für Kaviarliebhaber dürfte die russischstämmige Anna Nickel den Traumjob überhaupt haben. Denn sie salzt die Eierchen gemäß Rezeptur vorm Abfüllen behutsam ein, jede einzelne Charge von rund 80 täglich geschlachteten Stören. “Natürlich muss ich jedes Mal kosten”, sagt die 57-Jährige mit ihrem Löffel in der Hand – “so oft wie nötig”.

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