Literatur

Mit der Flut kommen die Toten

Hier eine kleine Leseprobe: 

Stella schaltete die Töpferscheibe aus, ergriff den bereits leicht geformten Tonklumpen und warf den mit Heftigkeit in die Kiste. Von der Wucht des Aufpralls spritzte der weiche Ton an den weißen Seiten der Plastikbox hoch. Tropfen von ihren schlammigen Händen verteilten sich weiträumig auf dem Boden, auf ihrem weißen Shirt. Sie stand auf, wusch die Hände, trocknete sie sehr lange ab und verließ die Werkstatt. Draußen atmete sie mehrmals tief durch. Seit sie vorhin den Artikel in der Zeitung gelesen hatte, war sie völlig durcheinander.
Sie lief barfuß über den mit Tau bedeckten Rasen, schwang sich mit einem Satz auf die hohe Steinmauer, den Friesenwall, und setzte sich hin. Ihr Blick schweifte zu dem weiten Wattenmeer. Jetzt, am Vormittag, schimmerte dass wie flüssiges Blei, welches mit Gold durchzogen zu sein schien. Die Sonnenstrahlen, die schräg darauf fielen, zauberten dieses wunderschöne Farbenspiel. Nur vereinzelte kleine Schäfchenwolken segelten langsam über das satte Blau. Einige Möwen oder Austernfischer flogen auf, drehten eine Runde, bevor sie sich abermals auf dem Schlick niederließen und nach Nahrung suchten. Gerade bei Ebbe war dort der Tisch reichhaltig für sie gedeckt.
Trotzdem fand sie heute hier nicht ihre gewohnte Ruhe. Der Zeitungsbericht weckte all das, was seit anno dazumal in ihr schlummerte, auf. Zu sehr beschäftigte sie die Vergangenheit.
Vierzehn Jahre waren es her. Nein, fast fünfzehn.

Sie hatte stolz ihr Abitur in der Tasche, und als sie Sven einlud, das abends am Strand zu feiern, hatte sie mit Begeisterung und vor Siegesgewissheit glühenden Wangen zugesagt. Während der Schulzeit hatten sie eher weniger privaten Kontakt gehabt, aber wie fast alle Schülerinnen, schwärmte sie für den Klassenkameraden. Er war schlichtweg der Mädchenschwarm der Schule. Sie hatte keinem erzählt, selbst Krischan nicht, mit wem sie an sich vergnügen wollte. Ihre Freundin Carla hatte prompt eine Ausrede gefunden, es als Frauenabend tituliert. Sie wusste, ihre Eltern hätten ihr das strikt verboten; Krischan hätte sie für dumm erklärt, da sie nicht zu diesen Reichen passe.
Mit ihren Freundinnen Carla und Sinja radelte sie nach Kampen hinüber. Dort hatten sie die Räder stehen gelassen. In Sven´s total überfüllten Sportwagen fuhren sie Richtung Ellenbogen. Eine Truppe Mädchen und Jungs erwarteten sie mit lautem Hallo und bereits gefüllten Sektgläsern. Niemand hatte gefragt, wer sie seien. Die drei Neulinge integrierte man sofort in die Clique, als wenn sie dazugehörten. Die weiblichen Gäste scharrten sich wie eine Traube um Sven, himmelten ihn an.
Sie trank das erste Mal Alkohol, Champagner, der ihr im Grunde genommen nicht schmeckte, aber um Sven zu gefallen, hatte sie den hintergekippt, gelobt. An dem Abend war sie sich sooo erwachsen vorgekommen. Sie hatten sich geküsst und es war zu mehr gekommen. An dem Abend, der Nacht fand sie alles sooo toll, aufregend neu. Sie vergaß, dass Welten zwischen ihr und Sven lagen, dass sie Krischan versprochen war.
Nach wenigen Wochen war der Traum beendet. Sven zog nach Hamburg, da er dort studieren würde. Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie hatte wenige Monate später Krischan geheiratet.
Man traf sich im Laufe der Jahre eher zufällig, außer moin sprach man nichts. Sie begegneten sich wie flüchtige Bekannte, nicht einmal wie Freunde, die sich freuten, einander zu begegnen.
Die Erinnerungen verblassten im Laufe der Zeitspanne, wenn sie nie gänzlich verschwanden .

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