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Digitalisierung: Nicht nur frühe Vögel fangen Würmer

Deutschland wird häufig als Nachzügler bezeichnet, wenn es darum geht, neue Technologien umzusetzen. So wird u. a. argumentiert, die deutsche Automobilindustrie habe neue technologische Errungenschaften wie E-Mobilität „verschlafen“. Und was die Digitalisierung angeht, wird immer wieder betont, für Deutschland bestehe viel Nachholbedarf. Neue technologische Herausforderungen würden deshalb eine große Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland sowie für Industrien und Unternehmen darstellen. Was ist dran an diesen Behauptungen? Und können von möglichen Problemen des Standortes Deutschland Rückschlüsse gezogen werden auf Wettbewerbsnachteile mittelständischer Unternehmen?

Deutschland – ein innovativer, aber in Bezug auf Digitalisierung kein besonders wettbewerbsfähiger Standort

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI – http://www.e-fi.de ) zeigt in ihrem Gutachten von 2017, dass Deutschland zu den innovationsstärksten Ländern der Welt gehört – es erreicht Rang 4 von 35. Grundlage dieser Beurteilung ist ein Indikator, der die Fähigkeit eines Landes misst, Innovationen hervorzubringen und zu nutzen. Deshalb kann dieser Index auch als Maßstab für Flexibilität und Anpassungsfähigkeit eines Landes auf technologische Herausforderungen interpretiert werden. Der Innovationsindikator setzt sich aus den fünf Kategorien Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Staat und Gesellschaft zusammen. Doch erreicht Deutschland in keiner Kategorie eine Spitzenposition.

Beim EFI-Digitalisierungsindikator allerdings zeigen sich große Schwächen. Hier liegt Deutschland mit einem Indexwert von 44 auf Platz 17 deutlich hinter anderen Industrienationen. Besonders groß ist der Abstand zu Großbritannien und den USA. Handlungsbedarf besteht vor allem beim Breitbandausbau, bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, in Teilen des Bereichs Forschung und Technologie sowie bei digitalen Geschäftsmodellen.

Digitalisierung: Nicht nur frühe Vögel fangen Würmer
Quelle: IKB Deutsche Industriebank AG

Für die bereits laufende vierte industrielle Revolution werden moderne und zuverlässige Datenautobahnen gebraucht, um die digitale Vernetzung von Maschinen und Anlagen, die in Echtzeit miteinander kommunizieren, sicherzustellen. Das bedeutet, auch das Datenvolumen in Deutschland wird weiter stark zunehmen. Um die sehr hohen Qualitätsanforderungen wie Up- Downloadsymmetrie, Echtzeitfähigkeit und Stabilität zu gewährleisten – Anforderungen der Industrie 4.0-Technologie –, sind Glasfaseranschlüsse notwendig. Hierbei befindet sich Deutschland jedoch in der Gruppe der am schlechtesten versorgten Länder in Europa. In einer Untersuchung der Europäischen Kommission belegt Deutschland bei Glasfaseranschlüssen Platz 28 von 32. Deutschland läuft Gefahr, dass durch Kapazitätsengpässe bei der digitalen Infrastruktur die geforderte Globalisierung der Wirtschaft ins Stocken geraten kann und sich somit bedeutende Wettbewerbsnachteile ergeben könnten. Dies würde zwar den Standort Deutschland treffen, nicht aber unbedingt die globale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen beinträchtigen. Denn in der Diskussion über die deutsche Wettbewerbsfähigkeit muss unterschieden werden zwischen dem Standort Deutschland und Unternehmen, die global agieren. Ähnliches gilt für den Digitalisierungsindex, denn der Mangel an Breitbandversorgung betrifft in einer vernetzten Welt vor allem den Produktions- bzw. Wirtschaftsstandort Deutschland. Beim Digitalisierungsindex belegt Deutschland bei Bildung nur Platz 17. Grund ist insbesondere die geringe Nutzung von digitaler Technik im Bildungsprozess.

Mehr als die Hälfte der Angestellten des deutschen Mittelstandes arbeitet mittlerweile im Ausland. Dieser Trend sollte anhalten, gerade beim qualifizierten Personal. So mag Deutschland einen Fachkräftemangel haben, ein deutsches Unternehmen mit ausländischen Standorten muss davon allerdings nicht betroffen sein. Anders gesagt: Ein sich verschärfender Fachkräftemangel in Deutschland und damit verbundene Lohnsteigerungen würden die Globalisierung der deutschen Unternehmen auf der Angebotsseite (Nutzung von ausländischen Fachkräften) weiter vorantreiben. So sieht zwar die EFI mit Sorge, dass FuE-Aktivitäten verstärkt ins Ausland verlagert werden (im Jahr 2015 wurden über die Hälfte der FuE- Ausgaben der Pharmaindustrie im Ausland getätigt; für den Fahrzeugbau waren es immerhin rund ein Viertel); aus unternehmerischer Sicht ist dies jedoch ein erfolgreicher Schritt, um mögliche Wettbewerbsnachteile in Deutschland zu überwinden.

Deutsche Unternehmen –Technologietreiber nicht das einzige Erfolgsmodell

Vor allem die Automobilindustrie steht zunehmend in der Kritik, jüngste technologische Trends „verschlafen“ zu haben. Nachhaltig „verschlafen“ würde ein Unternehmen eine Entwicklung aber nur dann, wenn schneller agierende Wettbewerber durch ihr Handeln Markteintrittsbarrieren schaffen können. Was technologische Innovationen angeht, scheinen diese allerdings nie lange zu halten, da der Rest des Feldes relativ schnell nachzieht bzw. überholt. Ist Nokia nicht dennoch ein mahnendes Beispiel dafür, dass das Verschlafen von technologischen Veränderungen (Entwicklung des Smartphones) katastrophale Folgen haben könnte? Im Gegenteil: Es ist ein Zeichen dafür, dass es sich manchmal lohnt abzuwarten, bis sich eine Technologie durchsetzt (in diesem Falle das Android-Betriebssystem) und nicht auf die eigene zu setzen. So ist nicht entscheidend, sofort zu handeln und mit technologischen Innovationen immer in vorderster Reihe zu stehen, vielmehr geht es darum, die Trends und Veränderungen der Zeit zu erkennen. Auf dieser Grundlage und angesichts der ohnehin großen Innovationsdynamik und kurzen Produktzyklen verschläft die deutsche Automobilindustrie keine aktuellen Trends. Technologie ist in einer global vernetzten Welt ein Produktionsfaktor wie Rohstoffe, der eingekauft werden kann.

Allerdings scheint das mögliche Ausmaß der Implikationen, die sich aus der Digitalisierung und der Industrie 4.0 ergeben, derart groß zu sein, dass ein Nachziehen die Existenz eines Unternehmens bedrohen kann. Angesichts des Ausmaßes an Implikationen durch die Digitalisierung ist mit grundsätzlichen Veränderungen für ganze Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten auszugehen. Doch gerade diese fundamentalen Veränderungen machen es schwierig, bereits im Anfangsstadium Gewinner und Verlierer in Bezug auf spezielle technologische Entwicklungen zu identifizieren. Auch stehen viele technologische Entwicklungen – insbesondere in der digitalen Welt – erst am Anfang, und fast täglich kommen neue hinzu. So ist schwer abzuschätzen, ob sich ein aktueller Wettbewerbsvorteil bei einer spezifischen Technologie in der Tat als nachhaltig erweisen wird. Deshalb mögen die Erfolgschancen weniger auf einem frühen Einstieg in eine Technologie als vielmehr in der Flexibilität der ständigen Anpassung liegen.

Mittelständischen Unternehmen wird häufig unterstellt, Digitalisierung oftmals nur halbherzig zu betreiben und eher kleinere Projekte als eine grundlegende Transformation anzugehen. Dieses trifft zumindest auf das Investitionsverhalten der deutschen Unternehmen vor allem seit der Finanzkrise zu. Investiert wird dann, wenn es notwendig ist und nicht auf Grundlage von visionären Ideen. Unternehmen agieren eher reaktiv als antizipativ. So sind zum Beispiel digitale Plattformen aktuell nur selten zentrale Bestandteile eines Geschäftsmodells. Angesichts des globalen Digitalisierungstrends könnte dies in der Tat zu Wettbewerbsnachteilen und Marktanteilsverlusten führen. Doch dies ist weder Indiz für Unkenntnis von notwendigen Investitionen noch eine Frage des Breitbandausbaus in Deutschland. Vielmehr müssen Unternehmen entscheiden, ob sie bereits früh das Risiko eines neuen Geschäftsmodells eingehen wollen, um an möglichen überdurchschnittlichen Gewinnen zu partizipieren, oder ob sie das Investitionsrisiko als zu hoch einschätzen. Es ist somit in erster Linie eine Frage des unternehmerischen Handelns und der Risikobereitschaft. Grundsätzlich sollten global agierende mittelständische Unternehmen einen Vorteil haben, da sie durch ihre Vernetzung und Offenheit ein höheres Bewusstsein für Veränderung haben. In einem hochdynamischen Umfeld können sich viele kleine Schritte sogar als effizienter erweisen, um am Puls der technologischen Entwicklung zu bleiben und größere Fehlinvestitionen zu vermeiden.

Der stabile, hohe Grad der Globalisierung der deutschen Wirtschaft auf der Nachfrage- (Exporte von finalen Gütern) und vor allem der Angebotsseite (globale Produktionsketten) zeigt, wie innovativ bzw. flexibel deutsche Unternehmen auf Veränderungen reagieren können und müssen. Grundsätzlich dokumentiert der hohe Offenheitsgrad, wie vernetzt die deutsche Wirtschaft ist. Damit sollte das Risiko von „Überraschungen“ durch billigere Anbieter oder neue Technologien reduziert werden. Auch ist nur bedingt zu befürchten, in einem globalen Umfeld etwas zu „verschlafen“. Deutschlands Exportanteil zeigt, wie erfolgreich die Unternehmen sich anpassen: Trotz eines Potenzialwachstums, das deutlich unter dem der globalen Wirtschaft liegt, konnten die deutschen Ausfuhren ihren Weltexportanteil relativ stabil halten. Gleiches gilt für die deutsche Industriequote.

Digitalisierung: Nicht nur frühe Vögel fangen Würmer
Quelle: IKB Deutsche Industriebank AG

Fazit: Mit der Digitalisierung nimmt die Frequenz von Innovationen und technologischem Fortschritt zu. Grundsätzlich scheinen global agierende Unternehmen für digitale Herausforderungen gut aufgestellt zu sein, da sie weniger von länderspezifischer Politik oder lokalen Arbeitskräften abhängig sind und aufgrund ihrer breit gestreuten Produktionsprozesse starkes Interesse an einer erfolgreichen Vernetzung haben. Deshalb sollten globale technologische Innovationen eher Opportunitäten als Risiken für Global Player im deutschen Mittelstand darstellen.

Dies gilt auch dann, wenn Unternehmen nicht Treiber oder Vorreiter von Technologien sind. Es ist nicht entscheidend, ob eine Innovation wie E-Mobilität unmittelbar umgesetzt wird, sondern ob die relevanten Unternehmen aus den vorhandenen Optionen die richtigen Schlüsse ziehen und entsprechend agieren. Hierfür bedarf es in erster Linie unternehmerischen Denkens und Offenheit für Veränderung. Die jüngste Geschichte zeigt, dass der global agierende deutsche Mittelstand trotz häufig geäußerter Sorgen hierbei gut aufgestellt ist.

Quelle: IKB Deutsche Industriebank AG

Veröffentlicht von:

Despina Tagkalidou
Despina Tagkalidou
Despina Tagkalidou ist Mitglied in der MiNa-Redaktion und schreibt über Wirtschaftsverbände, Macher im Mittelstand, Produkte + Dienstleistungen, Digitale Wirtschaft und Familienunternehmer.
Mail: redaktion@mittelstand-nachrichten.de

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