Beim Thema Künstliche Intelligenz machen wir uns etwas vor
Arbeitnehmer und Unternehmen unterschätzen Auswirkungen massiv

Kolumne von Gerald Wood
Man nennt mich „KI-Experte“. Wie mir diese Ehre zuteil wurde, kann ich nicht sagen, schließlich ist heute jeder KI-Experte, der schon einmal ChatGPT genutzt hat. Aber ok, ich nehme das gerne an. Und so fühle ich mich berufen, hier einen Teil meines Wissens zu teilen. Immerhin war ich ja Beta-Tester.
Ja, Anfang 2022 wurde ich Beta-Tester bei OpenAI für ChatGPT. Ganze acht Monate lang durfte ich mit dem damals noch unfassbar neuen Large Language Model (LLM), das als Basis für ChatGPT diente, spielen. Ich durfte ausprobieren, entdecken und lernen. Erst im November 2022 wurde ChatGPT dann für die Allgemeinheit freigegeben. Ich war dann auch einer der ersten, der ein kostenpflichtiges Abo abgeschlossen hat. Und seitdem übe ich fleißig mit dem Tool, teste Grenzen, entdecke immer neue Möglichkeiten, dieses Tool zum Wohle von Unternehmen und deren Mitarbeitern einzusetzen. Und ich habe mich zum „AI-Generalisten“ ausbilden lassen, um Applikationen für Unternehmen schnell zu erkennen und passende Tools zu implementieren. Also ja, vielleicht bin ich tatsächlich ein kleiner KI-Experte.
„Ich habe auch spioniert“
Aber ChatGPT war nicht meine erste Begegnung mit KI. Deswegen hier ein kleiner Abriss meiner Vita: Ich bin Amerikaner. Deswegen darf man mir durchaus Begeisterung für alles Neue unterstellen. Meine Karriere begann mit einer Ausbildung in Kryptologie bei der National Security Agency (NSA), dann erfolgte meine Versetzung nach Berlin, wo ich sieben Jahre auf dem Teufelsberg gearbeitet und – ja, auch das – spioniert habe, zum Beispiel Truppenbewegungen der Nationalen Volksarmee (NVA) der damaligen DDR. Nach der Wende ging ich in die Telekommunikationsbranche und befasste mich mit allem, was irgendwie digital war und modern klang: Voice-over-IP (VoIP) zum Beispiel, was heute längst Standard ist bei diversen Messanger-Diensten und Telefonanbietern.
Grenzen werden verschwimmen
Im Jahr 2013 habe ich dann mein eigenes Unternehmen gegründet – die AC Authentic Consult, zunächst als Einzelunternehmen, im Jahr 2020 dann zusammen mit meiner Partnerin als GmbH. AC beschäftigt sich mit dem Humanpotenzial in Unternehmen. Wir beraten Unternehmen, wie sie die Talente ihrer Mitarbeiter zu Stärken ausbauen, die Führungs- und Unternehmenskultur modernisieren, die intrinsische Motivation, die Innovationsbereitschaft und die Fähigkeiten entwickeln, mit neuartigen und disruptiven Technologien umgehen zu können. Das ist unser Job, dafür holen uns Unternehmen ins Boot. Wir beraten, begleiten und klären auf. Und in diesem Jahr habe ich ein Buch über die Zukunft der Arbeit mit KI veröffentlicht. Aber dazu später mehr. Eigentlich bin ich viel mehr Menschenversteher und Arbeitsweltprofi als KI-Experte. Aber egal, denn diese Grenzen werden eh bald verschwimmen.
Menschen werden immer gebraucht! Wirklich?
Doch genug zu mir. Ich sage dies alles auch nicht, um mich vergangener Taten zu rühmen – sie alle werden eh bald kaum mehr einen Wert besitzen, wenn die KI erstmal so richtig scharf geschaltet wird – nein, ich sage es, damit man meinen Hintergrund versteht. Wenn ich mahne, dann nicht, weil ich technikverliebt oder dystopisch bin, sondern weil ich mir Gedanken über die Menschen mache. Die einfache Aussage, Menschen werden immer gebraucht, reicht deutlich zu kurz. In den nächsten zehn Jahren werden 80 Prozent der Jobs, die wir heute kennen, nicht mehr existieren. Ja, es wird neue Jobs und Berufe geben, viele davon kennen wir heute noch nicht einmal. Aber für alle? Sicher nicht!
Wir werden mit der KI verschmelzen (müssen)
Und genau an dieser Schnittstelle möchte ich informieren. Es geht um NextGenWork, darum, wie wir als Menschen demnächst mit der KI verschmelzen, verschmelzen müssen. Ein paar Jahre bleiben uns noch. Und sie werden uns, gerade hier in Deutschland mit all unserer Skepsis und Langsamkeit, vorkommen wie wenige Wochen.
Täglich neue Tools
Bei all den Entwicklungen in der Welt – ich nenne an dieser Stelle gern BANI (Brittle, Anxious, Non-linear, Incomprehensible) – befinden wir uns in einer Situation der ständigen Veränderung und Disruption. Neue Entwicklungen finden nicht mehr jährlich im Zyklus der Hannover Messe statt oder als Folge einer Experten-Konferenz in München, Frankfurt oder Düsseldorf, sondern TÄGLICH, manchmal sogar stündlich. Unternehmen und deren Mitarbeiter finden kaum Zeit Luft zu holen, um sich auf ihre eigenen festgelegten Vorhaben, Pläne und Ziele zu konzentrieren. Solche Maßnahmen, einmal niedergeschrieben, sind oft am nächsten Tag bereits überholt.
Permanent kommen neue KI-Tools auf den Markt, die jede für sich das Potenzial hat, Prozesse und ganze Branchen obsolet zu machen.
Noch steckt die Künstliche Intelligenz in den Kinderschuhen
So ist es auch mit dem Umgang mit KI. Was heute eingesetzt wird, ist morgen veraltet. Das nächste Tool, die nächste Entwicklungsstufe stellt alles Vorherige in den Schatten. Hat jemand die Präsentation der neuen Grok4-Plattform von Elon Musk gesehen? Wenn nicht, dann unbedingt nachholen. Man bekommt eine Ahnung, was uns in Zukunft noch blühen wird. Was wir heute KI nennen und wo vielen schon heute staunend der Atem stockt, ist erst der Anfang. Die KI lernt erst das Laufen. Sie wird erst erwachsen, aber es wird nicht achtzehn Jahre dauern bis zur Volljährigkeit, sondern nur zwei oder drei. Und in zehn bis fünfzehn Jahren spätestens, werden wir Menschen eins werden mit KI.
Nach der generativen und agentiven KI folgt die Allgemeine Künstliche Intelligenz – das wird das Spiel komplett verändern
Unternehmen, Top-Manager, Politik und Gesellschaft, sie alle täuschen sich selbst. Denn die KI, die wir heute kennen, ist tatsächlich noch relativ harmlos. Sie ist ein nettes Tool, das uns bei Recherchen und der Bilderstellung hilft, uns lästige Prozesse automatisiert und uns effektiver werden lässt. Und ja, auch dieser Entwicklung fallen schon jetzt erste Arbeitsplätze zum Opfer.
Der generativen und agentiven KI von heute können wir etwas abgewinnen, vergleichen sie gegenüber Kritikern gerne mit dem Automobil, das einst die Pferdekutsche verdrängt hat, oder der Mail, die die Briefpost nahezu obsolet machte – na ja, mit Ausnahmen in der öffentlichen Verwaltung.
Bots fragen nicht nach Work-Life-Balance
Ernstzunehmende Prognosen sagen heute voraus, dass vier von fünf Arbeitsplätzen, wie wir sie heute kennen, zwischen 2030 und 2035 ersetzt werden. Und die Mär von „dafür entstehen neue Jobs“ gilt zwar. Aber diese Jobs werden kaum welche für Menschen sein, sondern solche für neue KI-Bots. Klar wird der Mensch noch eine Rolle in den Unternehmen spielen. Es wird noch ein paar wenige Führungskräfte geben, die nicht mehr (nur) Menschen führen, sondern vor allem KI-Agenten. Diese erledigen dann jedwede Tätigkeit – und das 24/7, ohne Pausen, ohne Krankheitstage, Feiertage, Urlaubstage. 365 Tage im Jahr zu deutlichen günstigeren Konditionen als sie der festangestellte Arbeitnehmer je erbringen könnte. Nach Work-Life-Balance und Vier-Tage-Woche wird die KI nicht fragen. Und wir bald auch nicht mehr.
Was passiert mit den 90 Prozent „normalen“ Arbeitnehmern?
Für einige wenige Führungskräfte, die die Welt der KI verstehen und für sich zu nutzen wissen, wird es noch einige Jahre Aufgaben geben. Aber Führungskräfte machen in der Regel nur zehn Prozent einer Belegschaft aus. Was passiert mit den 90 Prozent „normalen“ Arbeitnehmern? Darüber müssen sich Politik, Unternehmen und Gesellschaft Gedanken machen – und letztlich wir alle, jeder einzelne. Doch das Thema wird vertagt – man kann auch sagen vertuscht. Denn dass die Politik und die Verbände diese Prognosen nicht kennen, ist kaum vorstellbar. Sie schweigen lieber, um keine Panik zu verbreiten.
Schweigen ist für die Politik bequemer
Ich kenne keine einzige Initiative, schon gar nicht in der Politik oder bei staatlichen Institutionen, die sich darüber ernsthaft öffentlich Gedanken macht. Die Debatte wird schlicht nicht geführt, allein die KI als Wachstumsmotor wird gepriesen. Unwissenheit? Beruhigungsmanöver? Das eine wäre so schlimm wie das andere.
Die Allgemeine Künstliche Intelligenz wird auf uns nicht mehr angewiesen sein
Die heutige KI ist nicht die letzte Entwicklungsstufe. Grok4 deutet bereits die Zukunft an: Eine Welt, in der die Allgemeine Künstliche Intelligenz (AKI) – manche nennen das auch die künstliche Superintelligenz (KSI) – Einzug erhält. Die heutige KI wird noch von uns als Menschheit mit Informationen, Modellen und Wissen gefüttert. Die LLMs lernen also noch von uns. Die AKI aber wird nicht mehr auf uns angewiesen sein, sondern wird sich selbst mit Informationen und Wissen füttern. Das wird unsere Welt ganz anders aussehen lassen und die Spirale weiter befördern.
NextGenWork – einige können sich retten
Doch ist damit die Geschichte der Arbeit vorbei? Ich habe im März 2025 zusammen mit Kollegen ein Buch herausgegeben. Der Titel: „#NextGenWork – The Updated Definition Of The Future Of Work“. Darin erklären wir, welche konkrete Schritte Unternehmen bereits jetzt schon gehen können, um die Unsicherheit in der Belegschaft zu minimieren.
Hier eine kurze Zusammenfassung: Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter unterstützen, ihre Talente und Stärken zu entdecken, damit sie selbstbewusster den neuen Technologien begegnen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Dann muss „Upskilling“ und „Re-Skilling“ betrieben werden, um das Wissen der Mitarbeiter auszubauen, um den Umgang mit KI effizienter zu machen. Letztendlich muss die Unternehmenskultur so aufgebaut werden, dass intrinsische Motivation und Innovation Hand in Hand gehen – um so das Unternehmen zukunftsorientiert auszurichten.
Merkels „Neuland“ wird neu erzählt
Doch nur die wenigsten Unternehmen gehen so vor. Meiner Erfahrung nach hinkt Deutschland auch hier hinterher. Wir leben die 2025er Version von Merkels „Das Internet ist Neuland“-Aussage.
200.000 Mal schneller
Jetzt ist noch KI, sehr bald schon wird AKI sein. Und danach? Danach folgt die „Singularity“, die Verschmelzung von Mensch und Maschine. Das wird echtes „Neuland“ sein. Menschen mit einem Chip im Gehirn, deren neuronale Netze mit künstlicher Intelligenz verschmolzen sein und die Teil eines großen Mensch-Maschine-Systems werden. Achtung, wir sind Bork, Sie werden assimiliert. Immerhin: Wir werden dann 200.000 Mal so schnell denken wie heute. Wer kann da schon widerstehen?
Die Dinge selbst in die Hand nehmen
Weder die Unternehmen noch deren Mitarbeiter, nicht die Selbständigen und die Top-Manager, keiner kann es sich leisten, auf die Politik warten – denn es dauert schon jetzt viel zu lange. Während das neue Digitalministerium seine Strukturen aufbaut, einen Dienstsitz sucht und an Organigrammen feilt, verändert sich die Welt rasant. Die Unternehmen und die Entscheider, die Mitarbeiter und die Informierten, wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen, um die Zukunft aktiv zu gestalten.
Die Auswirkungen von KI lassen sich nicht wegregulieren
Der ehrliche Umgang mit KI muss jetzt beginnen. Die Entwicklung lässt sich weder wegregulieren noch aussitzen, der Geist kann nicht zurück in die Flasche. Deswegen: Lieber heute der Herausforderung und der Technik begegnen, denn morgen könnte es für viele zu spät sein.
Ich will hier nicht niemanden erschrecken, aber durchaus umfassend informieren. Wer von dieser Kolumne bereits erschrocken ist, sollte sich vor weiteren in Acht nehmen. Die Zukunft wartet nicht.
Autorenprofil:
Gerald Wood ist MiNa-Kolumnist, Gründer und CEO der Unternehmens- und Personalberatung Authentic Consult GmbH. Bevor er zusammen mit seiner Partnerin sein eigenes Unternehmen gegründet hat, war er Geschäftsführer von Gallup im DACH-Raum. Er hat die renommierte und viel zitierte Gallup-Studie (Gallup Engagement Index) in Deutschland eingeführt und etabliert. Zuvor war er Top-Manager im Metro-Konzern und Pressesprecher des Brandenburgischen Landtages. Seine vielfältigen beruflichen Erfahrungen aus verschiedenen Branchen, aber auch viele harte private Schicksalsschläge haben Gerald Wood motiviert, sich mit Menschen und Unternehmen zu beschäftigen.
Er gilt als der Top-Experte für die neue Arbeitswelt, in der Künstliche Intelligenz und andere Technologien immer mehr das tägliche Handeln von Menschen beeinflussen, und in der Unternehmen vor der Herausforderung stehen, sowohl ihre IT und ihre Prozesse als auch die wertvollen menschlichen Potenziale ihrer Mitarbeiter in einer digitalen Realität mit den ESG-Zielen in Einklang zu bringen. Das ist das Ziel von Gerald Wood und der Authentic Consult GmbH.
Die Authentic Consult GmbH (AC) ist eine führende internationale Strategie- und exklusive Unternehmensberatung. AC misst auf Basis der wissenschaftlichen Gallup-Grundlagen und Gallup-Methoden die emotionale Bindung von Mitarbeitern und Kunden an Unternehmen und Marken. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen entwickelt Authentic Consult Strategien, wie die emotionale Bindung nachhaltig gesteigert werden kann. Im Ergebnis führt dies zu begeisterten und engagierteren Mitarbeitern, mehr markentreuen Kunden, Lösungen für den Fach- und Arbeitskräftemangel sowie Programmen zur Steigerung der Performance. Die Ergebnisse bilden zudem die Basis bei der Entwicklung und Umsetzung moderner service- und performanceorientierter KI- und Digitalisierungsstrategien.
Authentic Consult hat neben seinen deutschen Hauptstandorten in Potsdam und Münster auch Büros in Genf, Lissabon und Charleston (USA) und strebt eine weitere Internationalisierung an. AC-Mandanten sind multinationale Konzerne, große Mittelständler, bekannte Marken aus Dienstleistung und Handel sowie Energieversorger und IT-Anbieter.