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Deutschland bei Hightech-Fasern für die Humanmedizin führend

Forschungsfeld Medizintextilien:
Neue „Werkstoffe“ zur Gesundheitserhaltung


Berlin. Die deutsche Textilforschung ist mit Entwicklungen für den Gesundheitssektor wie Nervenleiter, Depotfasern zur gezielten Wirkstoffabgabe oder gewebten Implantaten weltweit führend. Ein Drittel der bundesweit 16 Textilforschungsinstitute, so das Forschungskuratorium Textil e.V. (FKT) auf einer Pressekonferenz am Dienstag in Berlin, ist mit diesem Forschungsschwerpunkt zugleich Inputgeber für textile Medizinprodukte über traditionelle Krankenhaus- und OP-Textilien hinaus.

 

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Seitdem das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik (ITV) in Denkendorf (Baden-Württemberg) vor 35 Jahren mit Hightech-Fasern für die Gesundheitserhaltung erste Schlagzeilen produzierte, gehören Mediziner, Biologen und Biotechnologen inzwischen zum Stammpersonal der Textilforschung. Institute in Hohenstein (Baden-Württemberg), Dresden, Greiz (Thüringen) und Aachen gehören heute ebenfalls zu den ersten Adressen dieses vergleichsweise jungen Forschungs- und Wachstumsfeldes.

 

Moderne Medizintextilien unterstützen durch Integration von Mikrosensoren und elektrisch leitfähigen Polymeren in Bekleidung zum Beispiel die Überwachung der Vitalparameter von Patienten und Pflegebedürftigen. Auch im Operationsalltag finden immer häufiger textile Implantate Verwendung: Stents, Herniennetze, Gefäßprothesen. Künstlicher Hornhaut- und Hautersatz gehört ebenso zu den textilbasierten Innovationen wie neuartige Zellträger und Formgeber für die Regeneration von Geweben und Organen (Herzklappen, Ohrmuscheln).

FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen mit einer im Team von Prof. Dr. Michael Doser vom ITV Denkendorf (r.) entwickelten Gefäßprothese aus Textilmaterial (Foto: InnoMedia)
FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen mit einer im Team von Prof. Dr. Michael Doser vom ITV Denkendorf (r.) entwickelten Gefäßprothese aus Textilmaterial (Foto: InnoMedia)

 

„Dank vorwettbewerblicher Förderung vor allem durch die beiden Bundesministerien für Wirtschaft/Technologie und Bildung/Forschung kommen jährlich rund ein Dutzend textilbasierte Gesundheitsinnovationen dazu“, bilanziert FKT-Geschäftsführer Dr. Klaus Jansen. Sie zielen etwa als Hautersatz zur Behandlung schwerer Verbrennungen (ITV Denkendorf), partikelarme Bauchtücher (TITV Greiz) oder polymerbasierte Stents mit Gedächtniseffekt (ITA Aachen) auf die Bereiche Medizintechnik, Biotechnologie, Pharmakologie und Pflegedienstleistungen. Weil bei fast jedem dieser Forschungsergebnisse auf dem Weg zum Produkt geraume Zeit für klinische Tests und medizinische Zulassungen eingeplant werden müssten, dauere der Wissenschaftstransfer oft zehn Jahre und mehr – und damit aus Sicht der Forschung noch viel zu lange, bedauerte Jansen.

Mit der Entwicklung textiler Hohlfasern, in die medizinische Wirkstoffe eingebettet werden können, haben die Hohenstein Institute Bönningheim (Baden-Württemberg) beachtliche Erfolge erzielt. Medikamente können damit unmittelbar und in einem fest bestimmten Zeitraum in eine Wunde eingebracht werden. Die neuartigen Auflagen greifen so direkt mit in die Heilung ein, erläuterte der Direktor des Instituts für Hygiene und Biotechnologie, Prof. Dr. Dirk Höfer. Aus Bönningheim kommt ebenfalls ein innovatives Kühlpad zur Reduzierung der Körpertemperatur bei Patienten mit Herzstillstand, wodurch Hirnschäden vermieden werden. Für Allergiker bestimmt ist eine Matratzenauflage, die auf 50 Grad aufgeheizt werden kann und damit Hausstaubmilben zuverlässig abtötet.

Polymere Biomaterialien, Implantate und Regenerationsmedizin stehen im Mittelpunkt der Forschungen im Bereich Biomedizintechnik des ITV-Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf. Wie Forschungsbereichsleiter Prof. Dr. Michael Doser berichtete, soll eine der Denkendorfer Innovationen – eine textile Hülse mit integrierten Leitbahnen für Nervenfasern – die Wiederherstellung der Funktionalität betroffener Gliedmaßen erheblich beschleunigen. Laut Doser seien faserbasierten Medizinprodukte besonders kompatibel zu den körpereigenen Bausteinen wie Muskeln, Nerven und Fettgewebe. Medizinprodukte als Ergebnis der mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschung oder auf Anregung der Industrie fänden künftig vermehrt Einsatz bei Heilung und Gesundheitserhaltung, so der renommierte Wissenschaftler.

Um lebendige Stents und Gefäßprothesen geht es den Forschern vom Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen (ITA). Aus Zellen des Patienten werden dazu biologische Implantate gezüchtet, bei denen körpereigenes Material und Textilien eine neuartige Synthese eingehen, erläuterte Prof. Dr. Stefan Jockenhövel. Er hat seit einem Jahr im Auftrag des ITA und des Instituts für angewandte Medizintechnik (AME) des Helmholtz Instituts für biomedizinische Technik eine Brückenprofessur inne und will so neue Impulse bei der Gewebezüchtung und textilen Implantaten auslösen.

Die Entwicklung immer neuer Möglichkeiten des textilen Einsatzes in Krankenhaus, Rehabilitation und Fürsorge gehört zu den vorrangigen Aufgaben  der 16 deutschen Textilforschungsinstitute mit ihren insgesamt rund 1.200 Mitarbeitern. Das Forschungskuratorium wirkt dabei als Mittler zwischen Wissenschaft und Industrie und setzt sich für die ministerielle Förderung der innovativsten Projekte ein. In der Textilindustrie liegt der Anteil der Innovationen am Umsatz bei gut einem Viertel. Die Branche liegt damit in Deutschland auf dem dritten Platz nach dem Fahrzeugbau und der Elektroindustrie.

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