Falsche Solidarität und blanker Zynismus
„I bin gern solidarisch, aber genügt des net, wenn i dene im Osten den Daumen drück?“ witzelte der bayerische Kabarettist Gerhardt Polt einst über den Solidaritätsbeitrag im Speziellen und Solidarität im Allgemeinen. Nein, so darf man heute feststellen, es genügt nicht. Weder im Osten noch Süden, schon gar nicht im Südosten.
Seitdem die immer noch schwelende globale Finanzkrise die Konstruktionsmängel unserer Gemeinschaftswährung offen zu Tage treten lies, ist „Solidarität“ das Zauberwort, welches einerseits geschlossene Verträge ebenso wie das Recht selbst außer Kraft setzt und darüber hinaus den Zugriff auf scheinbar unbegrenzte Geldsummen ermöglicht. Zunächst galt es Solidarität mit Portugal, mit Spanien und Italien und mit den Griechen sowieso zu haben. Offensiv wurde die Verpflichtung zur Solidarität propagiert. Dem Wahlvolk konnte mit diesem Argument letztlich noch jedes der ebenso sinnlosen wie teuren Rettungsprogramme verkauft werden. Dass die Solidarität tatsächlich eher internationalen Großbanken als verarmten und überschuldeten Südländern zu gute kam, wurde weit weniger offensiv kommuniziert. Verständlich, würden solche Details doch vermutlich nur die lobenswerte Bereitschaft zur Solidarität schmälern.
Im Augenblick macht die innereuropäische Solidarität einer drängenderen Form Platz. Eingedenk der Bilder von überfüllten Bahnhöfen, überfüllten Zügen und überfüllten Straßen und Bussen sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Nun gilt es, mit tausenden von hungernden und abgerissenen Flüchtlingsfamilien aus dem Bürgerkriegsland Syrien solidarisch zu sein. Dass diese sich bei genauerer Betrachtung nur allzu oft als junge Männer aus allen möglichen Regionen der Welt auf der Suche nach einem materiell besseren Leben entpuppen, ist ebenso ein besser nicht zu offensiv zu kommunizierendes Detail.
Noch viel weniger kommuniziert wird die Tatsache, dass jene, mit denen nun so aggressiv Solidarität eingefordert wird, von selbiger nur einen kleinen Teil erhalten. Dass haben die innereuropäische Solidarität und die mit den Einwanderern gemein. Die solidarisch bereitgestellten Steuermilliarden nämlich wandern zu großen Teilen in die Taschen der Flüchtlings- und Asylindustrie. Laut dem Focus kommt European Homecare, einer der größten privaten Betreiber von Flüchtlingsheimen, auf eine Eigenkapitalrendite von 66 Prozent. Ein Wert von dem jede Großbank nur träumen kann. Für NGOs wachsen mit dem Flüchtlingsansturm die Betätigungsfelder und damit auch die Fördertöpfe, in die man greifen kann, ganz erheblich, weshalb sich jene ganz besonderes bemühen die Flüchtlinge bei ihrer Reise nach Deutschland genau anzuleiten und zu unterstützen. Für Sozialpädagogen und eine Vielzahl anderer, vorsichtig formuliert, bis vor kurzem eher weniger zukunftsträchtigen Ausbildungen schießen plötzlich Arbeitsplätze wie Pilze aus dem Boden. Kein Wunder, dass sie alle Solidarität einfordern, auch wenn diese in Wahrheit gar nicht den Flüchtlingen, sondern ihnen selbst gilt.
Ein Phänomen, welches wir auf allen nicht nur gesellschaftlichen, sondern vor allem politischen Ebenen beobachten können. Man denke nur an Cem Özdemir, der vor einigen Jahren einen kurdischen Kulturverein samt Moschee aus dem Wohnhaus klagte, in welchem er eine Eigentumswohnung erworben hatte. Oder an Die Linke, die ganz massiv die Öffnung aller Grenzen und Solidarität mit allen Flüchtlingen propagiert, während sie es zu ihrer Zeit als Staatspartei der DDR vorzog, auf Flüchtlinge schießen zu lassen – zumindest auf die mit dem Arbeiter- und Bauernparadies unsolidarischen Republikflüchtlinge.
Auch die europäischen Staaten führen stets das Wort von der Solidarität im Mund – gerade Griechen und Italiener aber lies man lange Zeit bei der Sicherung der EUAußengrenzen im Stich. Wie heuchlerisch die Haltung der meisten EU-Staaten in der Frage der Asylpolitik ist, zeigt sich daran, dass zwei Drittel der EU-Staaten ihre eigenen Vorgaben nicht umsetzen und ihnen ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof winkt.
Völlig absurd wird es, wenn man bedenkt, dass dort, wo Solidarität wirklich gefordert wäre, wo sie auch in vielerlei Hinsicht eine deutlich größere Wirkung erzielen würde und das mit einem viel geringerem finanziellen Aufwand, dort passiert – gar nichts: In den Flüchtlingslagern in Jordanien, dem Libanon oder der Türkei. Hier sitzen insgesamt noch Millionen Syrer, deren Situation immer prekärer wird und die sich dem Sog, den der vermeintliche Freifahrtschein der deutschen Regierung ausgelöst hat, immer schwerer entziehen können. Dem Träger der Lager, den UN, geht das Geld aus. Die Solidaritätszusagen fast aller Mitgliedsstaaten waren nichts als heiße Luft. Hatten die UN vergangenes Jahr noch 31 US-Dollar pro Flüchtling und Monat zur Verfügung so sind es nun gerade noch einmal 13,50 US-Dollar – zumindest für den Libanon gelten diese Zahlen. Kein Wunder, dass die Menschen die Lager verlassen und versuchen, an Orte zu gelangen, in denen sie sich bessere Zukunftsaussichten versprechen.
Dabei ließe sich dort mit relativ bescheidenen Mitteln eine funktionierende Infrastruktur aufbauen und die Kriegsflüchtlinge menschenwürdig versorgen. Auch die Staaten, in denen besagte Lager liegen, ließen sich mit vergleichsweise wenig Geld und geringem technologischem Aufwand effektiv bei der Versorgung unterstützen. Auch könnten in solchen Lagern entsprechende Asylantragsstellen installiert werden, inklusive solcher Einrichtungen, die tatsächlich Asylberechtige auf ein Leben in Deutschland oder der EU vorbereiten. Wer keine Aussichten auf Asyl hat, wäre immerhin in der Nähe der Heimat und könnte, wenn der Frieden dort wieder hergestellt ist, schnell zurückkehren. Es wären durchaus Programme denkbar, die den Menschen für diesen Fall Fähigkeiten mitgeben, ihr Land schnell und besser wieder aufzubauen – auch diese wären vergleichsweise günstig zu realisieren. All dies aber geschieht nicht. Den UN wird stattdessen die Unterstützung immer weiter gekürzt und allen voran die Türkei bemüht sich nun immer aktiver, die Flüchtlinge Richtung EU und Deutschland loszuwerden. Bedenkt man, das die Lager eigentlich der Schlüssel zur Flüchtlingskrise (zumindest dem syrischen Anteil daran) sind, dann kann man sich nur wundern, dass dort ausgerechnet jetzt – im vierten Kriegsjahr – die so wichtige Unterstützung ausbleibt.
In einem anderen Sketch gesteht Polt, dass er sich auch gerne mal mit einem Obstler „solidarisch“ zeigt. Der Zynismus aber, mit dem seit Jahren Solidarität geheuchelt wird, während es tatsächlich um ganz andere Motive geht und mit dem gerade Politiker und angebliche Aktivisten Solidarität einfordern, ohne sie selbst leisten geschweige denn bezahlen zu müssen, ist auch mit viel Schnaps nur schwer zu ertragen.
Text: Dagmar Metzger und Steffen Schäfer