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„Es ist wie im Leistungssport“

Die Ausbildung ist ein absolutes Kernthema der Unternehmen in der Hauptstadt und damit auch der Industrie- und Handelskammer Berlin. IHK-Präsident Sebastian Stietzel spricht im Interview über den Wert, aber auch Reformbedarf der dualen Ausbildung und die Ziele der drei Millionen Euro schweren IHK-Ausbildungsoffensive.

Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die duale Ausbildung bei der Fachkräftesicherung für die Wirtschaft, und wie kann sie im Hinblick auf Demografie und Zuwanderung optimiert werden?

Ausbildung ist ein wesentlicher Hebel für Unternehmen, um Fachkräfte frühzeitig zu gewinnen und an sich zu binden. Nicht ohne Grund gilt das System der dualen Ausbildung international als vorbildlich. Es ist wie im Leistungssport: Eigene Nachwuchsförderung bringt nachhaltigen Erfolg. Wir sehen allerdings Optimierungsbedarf – und zwar vor allem bei der Berufsorientierung und beim Matching. Viele Jugendliche verlassen die Schule ohne genaue berufliche Vorstellungen. Nicht nur angesichts der demographischen Entwicklung brauchen wir einen Informations- und Imagebooster, um Ausbildung für Jugendliche wieder attraktiver zu machen.

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Wie passt sich die Ausbildung in traditionellen Berufen angesichts des technologischen Wandels und der digitalen Transformation den veränderten Anforderungen an?

Bestehende Berufe werden novelliert, aber auch neue Berufe entstehen. Es gibt beispielsweise den neuen Beruf Gestalter für immersive Medien, ein top aktuelles Berufsbild, in dem virtuelle Welten geschaffen werden. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass so etwas viel zu selten passiert und dass es aktuell auch schon mal zehn Jahre dauern kann, bis neue Anforderungen mit allen Details implementiert sind. Angesichts der rasanten technologischen Veränderungen ist das natürlich zu langsam, das spiegeln uns auch die Unternehmen. Die duale Ausbildung ist ein weltweit anerkanntes Modell, die Herausforderung ist jetzt, das System insgesamt fit fürs 21. Jahrhundert machen. Wir müssen uns da unbedingt dem Markt und seinen Anforderungen anpassen – ohne den USP der dualen Ausbildung aufzugeben: die berufliche Handlungskompetenz. erzeugt durch die Verbindung von schulischer und praktischer Bildung mit einem deutschlandweit einheitlichen Kompetenz-Profil.

Welche Maßnahmen oder Initiativen ergreift die IHK Berlin, um junge und innovative Unternehmen zu ermutigen, verstärkt in die Ausbildung von Fachkräften zu investieren?

Ausbildung ist ein absolutes Kernthema der Kammern. Die Vollversammlung der IHK Berlin – also unser Unternehmerparlament – hat deshalb fast drei Millionen Euro für die aktuell laufende IHK-Ausbildungsoffensive bereitgestellt. Damit finanzieren wir neben Projekten, die Jugendlichen bei der beruflichen Orientierung helfen, auch Maßnahmen, um Unternehmen gezielt für Ausbildung zu begeistern und zu unterstützen. Wir haben eine Reihe von Angeboten, die Unternehmen auf dem Weg zum Ausbildungsunternehmen unterstützen: Webinare, praktische Tools für das Azubi-Marketing und natürlich die persönliche Beratung.

Wie können Unternehmen, Bildungseinrichtungen, aber auch Organisationen wie die IHK gemeinsam dafür sorgen, dass die Ausbildung optimal auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes abgestimmt ist und hochqualifizierte Fachkräfte hervorbringt? Und wie funktioniert das in Berlin?

Wir müssen auf jeden Fall agiler und flexibler werden, was die Aufnahme neuer Lerninhalte in die Ausbildung angeht. Wir haben mit dem Angebot digitaler Zusatzqualifikationen für einzelne Ausbildungsberufe gute Erfahrungen gemacht. Diesen modularen Ansatz kann man sicher weiter entwickeln. Wichtig ist
der regelmäßige Austausch mit den Ausbildungsunternehmen, damit wir wissen, welche Inhalte noch aktuell sind oder wo Anpassungsbedarf besteht. Mindestens genauso wichtig sind aber die Berufsschulen. Wenn die Auszubildenden an den Schulen mit veralteter Software oder überholter Technik arbeiten müssen, ist das einfach ein Problem, das sich auch auf das Image der dualen Ausbildung auswirkt.

Inwieweit spielen Trends wie New Work, Work-Life-Balance, Remote Work und die Bedürfnisse der jüngeren Generationen eine Rolle bei der Weiterentwicklung von Ausbildungskonzepten? Und wie bewerten Sie die Trends der letzten Jahre?

Bis weit in die 2000er-Jahre hinein gab es immer mehr Bewerber als angebotene Ausbildungsplätze. Das hat sich komplett gedreht: Jugendliche können in vielen Fällen auswählen, bei welchem Unternehmen sie ihre Ausbildung beginnen. Wir hatten im Sommer den Fall eines Jugendlichen, der parallel fünf Verträge unterschrieben hat, um sich alle Optionen offen zu halten. Die Unternehmen müssen darauf reagieren – und viele tun das schon längst. Bei aller Sinnhaftigkeit einer ausgewogenen Work-Life-Balance sollte man aber nicht vergessen, dass die Ausbildung das Ziel hat, in einer bestimmten Zeit festgelegte Kompetenzen zu entwickeln, die bei der Abschlussprüfung auch unter Beweis gestellt werden müssen. Richtig ist leider auch: Die duale Ausbildung hat in den vergangenen Jahrzehnten an Strahlkraft bei den Jugendlichen eingebüßt. Wir brauchen aber gut ausgebildete junge Menschen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes. Die Herausforderung wird also sein, das Erfolgsmodell duale Ausbildung durch Mut zur Modernisierung gemeinsam auf die nächste Entwicklungsstufe zu heben.

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